Ich schäme mich des Evangeliums nicht!

Impuls von Pfarrerin Annette Müller

Liebe Geschwister,

Saulus ist ein gesetzestreuer Pharisäer mit römischem Bürgerrecht. Etwa 25 Jahre nach der Kreuzigung Christi verfolgt die Anhängerinnen und Anhänger von Jesus erbarmungslos. Denn nach dessen Tod ist es noch jahrzehntelang verboten, sich zu Jesus zu bekennen! Aber dann hat Saulus ein Bekehrungserlebnis und wird innerhalb weniger Tage selber überzeugter Christ. Er bekommt einen anderen Namen und heißt ab sofort Paulus. Aus einem Verfolger der ersten christlichen Hausgemeinden wird ein leidenschaftlicher Missionar. „Ich will euch aber nicht verschweigen, Brüder und Schwestern, dass ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen, damit ich auch unter euch Frucht schaffe wie unter andern Heiden. Griechen und Nichtgriechen, Weisen und Nichtweisen bin ich es schuldig; Darum, soviel an mir liegt, bin ich willens, auch euch in Rom das Evangelium zu predigen. Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: »Der Gerechte wird aus Glauben leben.« (Röm 1,13-17)

Als Paulus diesen Brief an die Römerinnen und Römer schreibt, fragen viele, wer eigentlich dazu gehören soll zur christlichen Gemeinde. Man weiß nicht: Ist es nötig, die eigenen Söhne beschneiden zu lassen, wie es in der Thora steht? Muss man sich als Christ an die jüdischen Reinheits- oder Speisegebote zu halten? Paulus bereist fast den ganzen Mittelmeerraum und schreibt viele Briefe. Er behauptet: Die frohe Botschaft von Jesus Christus gilt allen, egal, welche Sprache sie sprechen oder wie sie bisher gelebt haben. Jüdinnen und Juden sind zwar die ersten Adressaten der Botschaft. Denn mit ihnen hat Gott als erstes seinen Bund geschlossen. Aber die anderen Menschen sind genauso wichtig. Paulus wendet sich an Leute mit und ohne Migrationshintergrund, an Menschen aus unterschiedlichen Milieus. Und er sagt: Es ist egal, wo du herkommst und welches Geschlecht du hast. Hier geht es um Jesus und seine Botschaft von Gottes Liebe. Und es geht um dich, um deinen Glauben!

Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes. Paulus wusste: Der Glaube verbindet Menschen über Ländergrenzen hinweg. Der Glaube an Jesus Christus überwindet kulturelle Schranken. Und Paulus wusste auch: Mit dem Evangelium haben Christinnen und Christen einen Schatz! Wir zapfen da eine Quelle an, die unerschöpflich ist! Wir bauen auf einen Gott, dessen Liebe durchdringend ist und Menschen zurechtbringt!

Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, die selig macht.

Vor ein paar Tagen hatte ich ein langes, sehr intensives Gespräch mit einem Bekannten. Er ist in einem Kinderheim aufgewachsen und hat eine wirklich schwere Vergangenheit. Damals, als er Kind war, wurde die Bibel auch dazu genutzt, um Kinder einzuschüchtern. Ihm wurde damals gedroht: Wenn du böse bist, wird Gott dich bestrafen. Pass auf, sonst landest du in der Hölle! Irgendwann, während unseres Gesprächs, hat dieser Bekannte sein Handy gezückt und nach einem Lied gesucht. Und dann erklang es, in einer getragenen, ja, pathetischen Version: Amazing Grace! Während Mahalia Jackson voller Gefühl gesungen hat, saß dieser Mann da, und Tränen stiegen in seinen Augen hoch. Und irgendwann ist es aus ihm herausgebrochen: „Es hat so lange gedauert, bis ich kapiert habe, dass Gott gar nicht böse ist! Es hat ewig gebraucht, bis ich verstanden habe, der ist ja gnädig! Ich habe Jahrzehnte gebraucht, um zu erfahren: Gott liebt mich, einfach so! Obwohl ich bin, wie ich bin!“ 

Aus dem früheren Heimkind ist ein Mensch geworden, der sich hingebungsvoll um andere kümmert. Kontaktfreudig, lebensfähig und liebenswürdig ist er geworden. Aber nicht durch Drohungen, da bin ich mir sicher. Sondern dadurch, dass sich die Botschaft von der Liebe Gottes irgendwie einen Weg gebahnt hat, an den schwarzen Pädagoginnen vorbei, hin zu ihm. Die Botschaft, dass Gott in Jesus Mensch wurde. Die Botschaft, dass auch wir Menschen sein dürfen, mit unseren Licht- und Schattenseiten. Die Botschaft, dass der Glaube an Jesus freimacht und nicht niederdrückt. Paulus predigte das Evangelium über die Schranken von Ländern und Kulturen hinweg. Und auch wir fragen uns: Wo verlaufen eigentlich die Grenzen unserer Gemeinde? Denn es fühlen sich ja viel mehr und ganz andere Menschen uns zugehörig als die, die offiziell Mitglieder bei uns sind. Wir fragen: Wie erreichen wir Menschen, die sich erst einmal nicht für den Glauben interessieren? Was würde sie überzeugen, bei uns mit zu mischen? Aber wir sollten uns immer wieder auch fragen: Wie bleiben wir selbst im Herzen dran am Evangelium von Jesus Christus?

Wir planen jetzt schon, was wir im Jahr 2023 in unserer Gemeinde machen wollen. Klar ist jetzt bereits: Wir werden auch rausgehen! Mit der Freibadinitiative feiern wir z.B. das 75jährige Jubiläum des Schwimmbades. In diesem Rahmen sollen auch Kinder getauft werden. Draußen unter freiem Himmel werden Kinder und Eltern hoffentlich erfahren: Das Evangelium von Jesus Christus gilt eben nicht nur innerhalb der Kirchenmauern. Es drängt nach draußen! Und wir hoffen, dass auch Leute interessiert zuhören werden, die sich bislang nicht so sehr für die Kirche interessieren.

Der Glaube hat sich gewandelt in 2000 Jahren. Auch wir als Kirchengemeinde wissen, dass wir neue und andere Wege finden müssen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen über Lebens- und Glaubensfragen. Längst spielt das Internet eine Rolle in unserem Alltag. Über Facebook halten wir Kontakt zu den Geschwistern im globalen Süden. Über Instagram sind wir verbunden mit ehemaligen Konfirmanden und Studentinnen, die inzwischen weiter weg wohnen. Über Youtube-Videos fühlen sich Menschen von uns gesegnet, die über viele Bundesländer verstreut leben. Die Wege der Kommunikation haben sich gewandelt. Aber der Kern des Inhaltes ist gleichgeblieben: Gott liebt den einzelnen Menschen, ohne Vorbedingungen zu stellen. Im Evangelium steckt Kraft und Freude drin! Und wir sind Geschwister, die miteinander verbunden sind, selbst, wenn wir weit entfernt voneinander leben.

Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; es ist eine Kraft Gottes, die selig macht.

Der Glaube an Jesus Christus macht froh und gibt dem Leben Sinn. Das kann man mit Worten bekennen. Und man kann versuchen, es vorzuleben. Ich bin überzeugt davon, dass beides zusammengehört.

Amen

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Töchter und Söhne Gottes werden

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Du bist ein Gott, der mich sieht. (Gen 16,13)